Chronik

Die Geschichte der „Ortenberger Musik“ 1811 – 2011

von Dominic Schillinger

Erste Nachrichten aus dem Jahr 1796

Wo Menschen sind, da ist auch Musik, sagt ein Sprichwort.
Bei einer nachgewiesenen Siedlungsgeschichte von über viertausend Jahren auf Ortenberger Boden dürften daher hier musikalische Aktivitäten in den verschiedensten Formen und Epochen kaum verwundern. Alleine fehlt es für die allerlängste Zeit an Nachweisen, wie wir uns das Musizieren in früheren Zeiten vorstellen müssen.

Umso spektakulärer fällt die erste Nachricht von Ortenberger Blasmusikern aus dem Jahr 1796 aus: Als in diesem Jahr eine französische Armee den Rhein überquert und in die vorderösterreichische Ortenau einfällt, greift der Ortenberger Maurermeister Michel Kitiratschki zu einer ebenso simplen wie genialen Kriegslist. Wie ihm offensichtlich nicht entgangen ist, haben die großen österreichischen Heere dieser Zeit ihre traditionellen Feldmusiken aus Waldhorn, Fagotten und Oboen lautstark um Trompeten, Klarinetten, Flöten und vor allem Schlagwerk erweitert.

Kitiratschki und seine 30 Ortenberger und Zunsweierer Schützen begleiten daher ihren Angriff aus dem Wald heraus auf eine bei Biberach stehende französische Batterie mit allerlei Blasinstrumenten und Schlagwerk. Der Plan gelingt, schließlich kommt den Franzosen dieser Klang nur zu bekannt vor. Sie glauben sich einem starken österreichischen Militärverband statt einer kleinen Landmiliz gegenüber und ergreifen Hals über Kopf die Flucht. Ohne jeden Verlust nimmt man die feindlichen Kanonen ein und entführt sie nach Ortenberg, wo das Schützencorps hoch geehrt wird.

Eine Begebenheit, die zeigt, wozu Musik in der Lage sein kann. Kitiratschki dagegen soll damit nicht zum letzten Mal mit seinem Führungsgeschick und musikalischen Interesse von sich reden machen.

In dieser Zeit der 1790er- Jahre entstehen auch andernorts vor allem in den vorderösterreichischen Gebieten im Breisgau und der Ortenau die ersten zivilen Blasorchester.

Die Urkunde von 1811

Nur wenige Jahre später, im Jahr 1811 verfassen die Musikfreunde Severin Berg, Dominik Roser, Michel Rihle, Friedrich Frey, Gervas Ilg, Simon Berg, Kaspar Riehle und Mathäus Harter eine Urkunde, die uns Aufschluss über die Anfänge der Ortenberger Musikkapelle gibt.

Sie berichtet von ihnen als den acht Musikern, die von dem Lehrer und Organisten Johann Baptist Lederle „instruviert“, also musikalisch  ausgebildet und geleitet werden. Lederle führt als erster Kapellmeister das kleine Orchester bis zu seinem Tod 1825.

Als Unterstützer und Spender gleich mehrerer Musikinstrumente nennt das Schriftstück niemand anderen als Michel Kitiratschki, der es zwei Jahre zuvor ins Amt des Vogtes schaffte. Er stiftet auch eine große Trommel, in die man feierlich die Gründungsurkunde einklebt,  mit dem Trommelfell verschließt und so der Nachwelt hinterlässt.

Eher kurios ist es, wie die Urkunde wiederentdeckt wird. Ausgerechnet während des Auftrittes der Kapelle zum Kaisergeburtstag 1890 reißt das Fell der Trommel. Das Instrument wird in Reparatur gegeben, ohne dass man die Urkunde darin bemerkt. Doch das damals schon betagte Stück wird schnell ersetzt und gerät in Vergessenheit. Erst Jahre später staunt Wilhelm Kaiser nicht schlecht, als er auf das Instrument stößt, einen neugierigen Blick in sein Inneres wirft und das eingeklebte Dokument aus dem Jahr 1811 ans Tageslicht befördert. Trommel und Urkunde befinden sich seither bis heute in der Obhut der Gemeinde.

Urkunde 1811

Urkunde_MVO

 

Die „alte Observanz“ und der Vertrag von 1858

Das musikalische Betätigungsfeld der „Ortenberger Musik“, wie man sie schon bald landläufig nennt, liegt in erster Linie in der Kirchenmusik. Die Musiker wirken bei Gottesdiensten und Prozessionen im Kirchenjahr mit und erhalten dafür von der Gemeinde eine Entlohnung. Aus dem Jahr 1843 ist überliefert, dass die Musikanten jährlich an Fronleichnam und Patrozinium „nach längst bestehender Observanz statt Belohnung in barem Geld einen Trunk Wein, dessen Zahlung der Gemeindekasse obliegt“ , erhalten. Das jährliche Waldfest der Musiker an Fronleichnam hat also seinen Vorgänger schon im frühen 19. Jahrhundert.

Diese „alte Observanz“, also althergebrachte Handhabe, wird zwischen den Musikern, der Gemeinde und der Kirche 1858 schriftlich geregelt und so auf eine rechtsverbindliche Grundlage gestellt. Kapellmeister Karl Riehle, Pfarrer Nadler und Bürgermeister Braun unterzeichnen diesen dreiseitigen sogenannten Privatvertrag. Mit ihm verpflichten sich die Musiker, an genau festgelegten kirchlichen Hochfesten den Gottesdienst zu gestalten. Die Entlohnung besteht seither nicht mehr in Wein, sondern wird mit 34 Gulden im Jahr auf Kosten von Gemeinde und Kirchengemeinde vereinbart. Der Kapellmeister wird von der Gemeinde und dem kirchlichen Stiftungsvorstand gemeinsam bestellt.

Bemerkenswert sind zudem die weiter enthaltenen Regelungen: Diese verpflichten unter anderem  jeden Musiker zu einem tugendhaften und anständigen Lebenswandel, sowie zu regelmäßigem Probenbesuch. Auch an die Jugendarbeit ist gedacht, nämlich „sich im Unterrichten neuer Zöglinge zu ergänzen, damit nie wegen des Mangels dieses oder jenes Instrumente Spielenden das Ganze leide oder zu Schaden komme.“

Freilich musiziert die Musikgesellschaft auch damals schon bei Unterhaltungskonzerten und wird sogar mit der Zeit für Veranstaltungen auswärts gebucht.

Die musikalische Entwicklung bis zum Ende des 19. Jahrhunderts

Mit Karl Riehle steht zum ersten Mal sozusagen ein Profi am Dirigentenpult. Er hatte bei der Regimentskapelle in Freiburg seine musikalische Ausbildung erhalten und dort einige Jahre gedient. Dieses Können gibt er über Jahrzehnte bis 1891 als Kapellmeister an seine Mitspieler weiter. Das Orchester profitiert zudem von den Fähigkeiten weiterer ehemaliger Militärmusiker wie Basil Berg. Dieser hat beim Heer nicht nur das Waldhornspielen gelernt, sondern repariert auch über Jahrzehnte hinweg selbst alle Instrumente der Musikgesellschaft.

Doch mit der Jahrhundertwende stehen tiefgreifende Veränderungen bevor.

Krise und Neuanfang 1909

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts muss die Ortenberger Musik ihre erste große Zerreißprobe meistern. Die Musiker der alten Schule sind gestorben oder nicht mehr aktiv, während sich gegen die traditionelle Ausrichtung mit dem Schwerpunkt der geistlichen Musik von den Jüngeren offener Widerstand regt. Dies verschärft sich, nachdem Baron von Hirsch 1898 eine neue, klanggewaltige Orgel für die Pfarrkirche gestiftet hat.

Sie stoßen damit bei dem innovativ ausgerichteten Kapellmeister Theodor Münchenbach auf offene Ohren, der seit 1906 dem Orchester vorsteht. 1909 setzten sich die Reformer schließlich durch: Die Krise wird durch die Neugründung unter dem Namen „Musikverein“ beigelegt. Man gibt sich eigene Statuten und wählt 1911 den ersten selbst bestimmten, von der Gemeinde unabhängigen Vorstand Franz Riehle.

Ihm gelingt der schwierige Spagat, das musikalische Hauptaugenmerk auf Unterhaltungskonzerte, Feste und Wettbewerbe zu legen, ohne dabei die Mitwirkung an ausgesuchten kirchlichen Anlässen zu unterbinden. Man gibt so der Kapelle erstmals als Musikverein seinen heutigen Namen und auch sein – wenn auch den damaligen Zeiten entsprechend – ziviles und modernes Betätigungsfeld.

Die Ära Josef Vollmer ab 1921

Nach den Wirren des Ersten Weltkrieges, aus dem vier Musiker nicht mehr zurückkehren, bringen die Goldenen Zwanziger auch für den Verein einen grandiosen Aufschwung mit sich. Dieser ist untrennbar mit dem Namen Josef Vollmer verbunden. Vollmer bekommt die Musik als Urenkel des ersten Kapellmeisters Lederle in die Wiege gelegt. Schon als Bub macht er sich mit der Zither auf dem Rücken auf den Weg auf das Schloss. Dort singt und musiziert er für die „Herrschaft“, die ihn dafür finanziell und musikalisch fördert. Er lernt das Klavier- und Orgelspiel, dient als junger Mann im Heeresmusikkorps. Ab 1921 gibt er diesen reichen Erfahrungsschatz als Dirigent an die wachsende Zahl der Musikbegeisterten weiter.

Für sage und schreibe 43 Jahre lenkt er die musikalischen Geschicke der Ortenberger Musik. Bei seinem Ausscheiden wird er zum Ehrendirigent ernannt. Als solcher ist er wie als Altbürgermeister und Ehrenbürger unvergessen.

Im Jahr 1927 wird der Musikverein auch juristisch zum Verein. 170 Mitglieder unterzeichnen in der Gründungsversammlung am 6. Februar 1927 im Gasthaus Sonne die neue Vereinssatzung. Valentin Armbruster wird zum Ersten Vorsitzenden gewählt.

Die Niederschrift des damaligen Schriftführers und ab 1930 Vorsitzenden Emil Hurst markiert den Beginn der Protokollbücher, die bis in die Gegenwart erhalten geblieben sind und die Vereinsgeschichte lückenlos dokumentieren.

Trotz oder gerade wegen der damals noch strengeren Zeiten schildern die Aufzeichnungen augenzwinkernd so manche Anekdote- wie die des Klarinettisten Wilhelm Münchenbach, der sich beim Musizieren im Gasthaus Glattfelder vorzeitig vom Frey-Mathis und einigen anderen unentwegten Musikern abseilt. Als er sich gerade noch in Hörweite befindet, plagt ihn das schlechte Gewissen. Er holt an Ort und Stelle seine Es-Klarinette wieder heraus und spielt weiter aus der Ferne mit. Nun ist der Frey-Mathis nicht umsonst dafür bekannt, vom Musizieren nicht genug zu bekommen, weshalb Münchenbach weitere zwei Stunden in der Kälte spielt und in jeder Spielpause vergeblich beim vermeintlichen Konzertende die Klarinette ein- und dann wieder auspacken muss.

Die Dreißigerjahre und der 2. Weltkrieg

Musikalisch kann sich das Orchester auch über die Gemeindegrenzen hinaus sehen lassen. Man gewinnt mehrere Wettspiele in der Region mit 1a-Preisen in der Mittelstufe. 1933 schaffen sich die Musiker für die Pokale aus den Wettbewerben stolz einen eigenen Pokalschrank an.

Unter Hursts Nachfolger Karl Moser begeht die Kapelle 1936 das 125. Jubiläum mit einem dreitägigen Fest. Sind die Aktiven auf dem Jubiläumsfoto noch in ihren schwarzen Sonntagsanzügen zu sehen, kann vom Erlös der Veranstaltung noch in diesem Jahr endlich eine eigene, einheitliche dunkelblaue Uniform angeschafft werden.

Fast könnte man über all den guten Nachrichten vergessen, in welch dunklen Zeiten sich dies abspielt. Die Jahre des NS-Regimes bedeuten schließlich für die Musiker eine Gratwanderung. Einerseits kann man sich den Forderungen der braunen Machthaber nicht entziehen, bei Propagandaveranstaltungen oder für die Urlauber aus dem nationalen Programm „Kraft durch Freude“ zu musizieren. Andererseits lässt man sich nicht verbiegen und setzt die Mitwirkung an kirchlichen Hochfesten fort, welche den Nazis ein besonderer Dorn im Auge sind.

Bekanntlich soll es noch schlimmer kommen. Der Ausbruch des 2. Weltkrieges 1939 unterbricht jäh das Vereinsleben. Die Einträge im Protokollbuch der Vereinsereignisse 1941 – 45 beschränken sich auf die Meldung der Beerdigungen verstorbener Mitglieder und finden auf anderthalb Seiten Platz. Das Metall der stolzen Wettspielpokale ist zu dieser Zeit längst zu Kriegsmaterial eingeschmolzen. Fünf von 21 Aktiven, also fast ein Viertel, sterben in Russland.

Der Neubeginn 1947

Nach Kriegsende bleibt jegliche Vereinstätigkeit durch die französische Besatzungsmacht verboten. Die einzigen musikalischen, aber äußerst fremdartigen Klänge im Dorf sind die der nordafrikanischen Militärkapelle der französischen Kolonialtruppen, die täglich mit einem Hammel am Ende des Zuges als Maskottchen durch den Ort marschiert und stundenlang diesen von exponierter Lage aus beschallt.

Immerhin erhält man für das Barthlefest 1946 eine Ausnahmegenehmigung, um zu musizieren. Am 5. Januar 1947 erfolgt im Elisabethenhaus die Wiedergründung des Musikvereins mit den politisch unbelastet gebliebenen Franz Riehle als Erstem Vorsitzendem und Josef Vollmer als Kapellmeister.

Gesellschaft und Verein im Wandel

Ein Verein ist stets ein Spiegel der Gesellschaft. So geht es in den Nachkriegsjahren mit der Wirtschaft wie auch mit dem Verein steil bergauf.

1951, im Jahr des Doppeljubiläums zum 140- jährigen Bestehen und 25 Jahren als Verein, darf man sich schon wieder über Erfolge freuen. Beim Verbandswertungsspiel knüpft man mit zwölf Zöglingen im Orchester an frühere Zeiten an und erringt die Höchstnote „vorzüglich“ – wie so manches Mal in den kommenden Jahren. Der Verein erholt sich personell, musikalisch und finanziell. Er widmet sich wieder den Aufgaben im Jahreslauf zwischen Fasnacht und dem jährlichen Cäcilienball mit dem Gesangverein im Spätjahr.

Die Kapelle ist zudem gerngesehener Gast in den Nachbargemeinden und pflegt insbesondere den regelmäßigen Austausch mit den befreundeten Kapellen von Berghaupten, Elgersweier und Fessenbach. In Waltersweier, das kein eigenes Orchester besitzt, begleiten die Musiker die Fronleichsprozession und das Patrozinium musikalisch. Zu den auswärtigen Auftritten fahren sie gewöhnlich mit dem Fahrrad.

1961 dürfen der neugewählte Erste Vorstand Franz Frei und die Musiker in  ihrem 150. Jahr optimistisch in die Zukunft schauen.

Gesellschaft und Verein befinden sich in radikalem Wandel, als 1965 der Klarinettist Berthold Seckinger für 13 Jahre den Taktstock übernimmt. Die Jugend lehnt sich hier wie dort gegen verkrustete Strukturen auf, will alte Zöpfe abschneiden, öffnet sich für neue Ideen und internationale Einflüsse. Zudem fordert sie mehr Mitbestimmung, vor allem in der Vereinsleitung.

Franz Frei erkennt die Zeichen der Zeit und vollzieht den Wandel vom autoritären Führungsstil seiner Vorgänger hin zur Kooperation. Die Strukturen in Verein und Vorstandschaft werden modernisiert, neue Köpfe und schließlich Jugendvertreter in das Gremium gewählt.

Der Aspekt liegt mehr und mehr auf der Freizeitgestaltung. Gemeinsame Ausflüge ins europäische Ausland, ab 1971 das Schlossfest oder Stimmungsmusik mit der Formation der Schlossmusikanten erweitern und bereichern das Vereinsleben.

Seckinger beginnt erfolgreich damit, aktiv Jugendwerbung für den Nachwuchs zu betreiben. Er selbst bietet neben kostenlosem Einzelunterricht die Vermittlung von Musiktheorie an.

Auch musikalisch bringt das allgemeine Umdenken Neuerungen mit sich, denn die „Pflege der Volksmusik“, die man sich noch wenige Jahre zuvor ausschließlich zum Ziel gesetzt hatte, reicht nun nicht mehr. Dirigent Seckinger erweitert konsequent das Repertoire um moderne, internationale Literatur.

Tracht und Schlaghosen

Diese Entwicklung setzt sich auch unter den erstmals nicht aus dem Ort stammenden Nachfolgern weiter fort, als Berthold Seckinger aus gesundheitlichen Gründen seine Arbeit nicht weiter fortsetzen kann. Winfried Göhring, der Leiter der Kapelle aus Ohlsbach, springt als Interimsdirigent ein. Kurz darauf steht 1978 ein doppelter Führungswechsel an: Peter Münchenbach folgt Franz Frei als Vorsitzender,  der Trompeter Kurt Sauter steht nun an der Spitze des Orchesters.

Sauter nutzt seine Kontakte als ehemaliger Profi-Orchestermusiker und bereichert die Frühjahrskonzerte mit erstklassigen Gastsolisten und Moderatoren.

1979 gründen Mitglieder des Vereins die Tanzkapelle „Die lustigen Kellergeister“ . Sie treten mit zeitgemäßer Tanz- und Stimmungsmusik bei den großen Veranstaltungen zum Päpererball am Rosenmontag, dem Schlossfest und dem Winzerfest auf.

Beim Frühjahrskonzert präsentieren sich die Musiker in ihrer neuen Uniform, der Ortenberger Männertracht. Sie besteht aus Hose, Jacke und Hut in schwarz, rotem Brusttuch und weißem Hemd. Trotz dieser traditionellen Bekleidung verzichtet man allerdings nicht darauf, die Uniformhosen ganz im modischen Geschmack der Zeit oben knapp und unten mit einem moderaten Schlag schneidern zu lassen – Tradition und Moderne vereint.

Kurt Sauter haben die Ortenberger ihren Narrenmarsch zu verdanken. Seit ihn das Blasorchester und der Spielmannszug der Freiwilligen Feuerwehr 1981 gemeinsam dem närrischen Publikum vorstellen, ist er aus der Fasent im Ort nicht mehr wegzudenken.

Die ersten weiblichen Musiker

!983 gelingt es Münchenbach, den jungen Lahrer Helmut Dold als Sauters Nachfolger zu verpflichten. Dies beschert dem Orchester schon bald einen ungewöhnlichen Auftritt, als man Dold bei seinem Prüfungsvortrag  auf der Trompete in der Staatlichen Musikschule in Freiburg nicht nur persönlich, sondern auch musikalisch begleitet.

Bei Moderationen zeigt Dold sein Talent als Entertainer, als der er heute unter dem Namen „de Hämme“ bekannt und beliebt ist.

Nach den tragischen Ereignissen um Peter Münchenbach führt der 2. Vorsitzende Emil Riehle mehrere Monate kommissarisch den Verein bis zur Wahl Gerd Streckers im Jubiläumsjahr 1986. In dieser denkwürdigen Generalversammlung am 15. Februar gibt die Vorstandschaft um Emil Riehle, Heinrich Herp und Hans Frei zudem einen historischen Schritt bekannt: 175 Jahre lang war die Ortenberger Musik eine reine Männerdomäne geblieben. Dies soll sich nun ändern. Nur wenige Wochen später beginnen fünf Mädchen ihre Instrumentalausbildung; zwei Jahre später spielt Klarinettistin Ulrike Berg als erste Frau im Orchester mit.

Der Weg zum Sinfonischen Blasorchester

Nicht erst mit diesem Umdenken gewinnt der Verein durch die Bereitschaft, neuen Ideen offen gegenüberzustehen und hiervon zu profitieren. Die vergleichsweise früh getroffenen Entscheidungen zu Jugendausbildung und Jugendwerbung, zu Fortbildung und Zusammenarbeit mit professionellen Dirigenten und Ausbildern sowie zur Anpassung der Besetzung an die zeitgenössische Literatur mit elektrischer Gitarre und Bass  haben positive Spuren hinterlassen. Aus der früheren Dorfmusik ist bis zu den Achtzigerjahren ein modernes Blasorchester mit sechzig Musikerinnen und Musikern und ausgezeichneten Solisten in allen Registern geworden.

Hierauf kann Armin Suppan aufbauen, als er 1989 die musikalische Leitung übernimmt. Der gebürtige Österreicher setzt bewusst Akzente in der traditionellen Blasmusik, ebnet aber vor allem den Weg zum Sinfonischen Blasorchester. So wirkt er auf die Erweiterung der Besetzung um Oboe, Fagott und Bassklarinette hin. Letztere ist zu dieser Zeit in den hiesigen Musikgeschäften noch teuer und rar und wird von ihm von einer USA-Reise im Flughandgepäck mitgebracht.

Als studierter Hornist stärkt er den Waldhornsatz, der schon von seinem Vorgänger von den antiquierten Es-Hörnern auf moderne F- und Doppelhörner umgestellt worden war. Er ruft ein Hornquartett ins Leben und musiziert dort selbst mit. Überhaupt liegt ihm viel am Ensemblespiel. Suppan schafft einen kompletten Klarinettenchor mit Instrumenten von der kleinen Es- Klarinette bis hin zur tiefen Kontrabassklarinette. Bei so mancher musikalischen Weinprobe der Winzergenossenschaft Ortenberg stellt man auch unter Beweis, dass beide Ensembles ausgezeichnet kombinierbar sind.

Er gibt sogar den Anstoß zur Gründung eines Klassischen Bläserquintetts, das sich unter dem Namen Ortenberger Bläserquintett fortan der Kammermusik verschreibt.

Angesichts weiter wachsender Aktivenzahlen und stets ausverkaufter Festhalle finden die Frühjahrskonzerte nun in zwei Dritteln der größeren Sporthalle statt. 1992 kann der Verein endlich in das neue Probelokal mit eigenem Raum im Rat- und Feuerwehrhaus einziehen.

Der Jahrtausendwechsel

Das Ende des 20. Jahrhunderts bringt eine personelle Kontinuität mit sich, die für unsere schnelllebige Zeit eher ungewöhnlich geworden ist. Dieses positive Klima begünstigt das musikalische und personelle Fortkommen des Vereins mit Auswirkungen bis zum heutigen Tage.

Als Meilenstein darf man hierbei das Dirigentenamt Erich Kiefers bezeichnen. Beim Frühjahrskonzert 1995 stellt er sich zum ersten Mal für 13 Jahre gemeinsam mit seinen Musikern dem Publikum.

Der Elgersweierer versteht es, zusätzlich zur musikalischen Darbietung das Publikum auch optisch zu unterhalten. Er bringt Ballettensembles, einen Rock ´n´ Roll – Club, Jazztanzgruppen und einen großen Konzertflügel auf die Bühne. Doch das reicht Kiefer noch nicht, er geht gerne noch weiter ungewöhnliche Wege: Drei Mal stellt er einen vereinseigenen Projektchor auf die Beine und formt aus Jungmusikern einen Kinderchor, mit denen er selbst die Gesangsstimmen einübt. Bei Konzerten tritt man ferner gemeinsam mit dem Schülerchor der Von-Berckholtz-Schule, sowie mit einem großen Chor aus Männergesangverein und Kirchenchor auf. Über 100 Akteure auf den beiden Bühnen in der mittlerweile komplett genutzten Sporthalle oder im Altarraum der Pfarrkirche sind unter Kiefers Ägide keine Seltenheit mehr, zumal nun das Blasorchester alleine weit  mehr als siebzig Mitglieder zählt.

Überhaupt liegt Kiefer die Jugendarbeit sehr am Herzen, er formuliert die Idee der „Musikschule für das Dorf“. Gemeinsam mit Christian Berg, der die Jugendkapelle übernimmt, schafft er ein abgestimmtes System von Blockfötengruppen, Vororchester und Jugendkapelle als Vorbereitung auf das Blasorchester.

Christian Berg leistet seinerseits in der Jugendarbeit große Dienste. Er leitet die Jugendkapelle bis zum heutigen Tag im 16. Jahr. Unter seiner Leitung erhält die Jugendkapelle zahlreiche Verpflichtungen, die früher das Gesamtorchester wahrgenommen hatte, begleitet den Martinsumzug und die beiden Fasnachtsvereine bei auswärtigen Terminen.

Ins neue Jahrtausend führen den Musikverein zwei Männer, deren Namen exemplarisch für jahrelange Verlässlichkeit und Engagement stehen: Thomas Vollmer, seit 1991 stellvertretender Vorsitzender und Claus Martus, den Vollmer 1993 als Ersten Vorsitzenden gewinnen kann.

Vollmer ist die unermüdliche Triebkraft der Gemeinschaft. Treffender könnte man es kaum beschreiben als die Lokalpresse, die ihn in einer Berichterstattung schlicht als „den Macher“ bezeichnet.

Nach 16 Jahren im Amt und 28 Jahren Vorstandsarbeit einschließlich der Zeit als Obmann gibt er 2007 den Vize-Vorsitz in die jüngeren Hände von Dominic Schillinger- „der Macher spielt nur noch Tuba“, titelt wieder das Offenburger Tageblatt.

Claus Martus hat die organisatorischen Fäden in der Hand und repräsentiert zudem als Vereinssprecher die Gemeinschaft der örtlichen Vereine.

Unter seiner Regie feiert man beim Schlossfest 2000 den ersten Klassikabend im neuen Jahrtausend mit einem spektakulären Feuerwerk zu den Klängen von Händels Feuerwerksmusik.

Er macht  sich als „der singende Vorstand“ einen Namen. Bei Jahreskonzerten und in der Unterhaltungsmusik stellt er immer wieder seine stimmlichen Qualitäten gemeinsam mit dem Orchester unter Beweis. Auch beim Jubiläums-Frühjahrskonzert 2011 steht er als Gesangssolist bei Gershwins „Porgy und Bess“ auf der Bühne.

Claus Martus steht auch im 21. Jahrhundert bis heute an der Spitze des Vereines, gibt diesem nach außen ein Gesicht und leitet nach innen ein eingespieltes Vorstandsteam.

200 Jahre jung –

Gegenwart und Zukunft

Die musikalischen Geschicke als Dirigent und Ausbildungsleiter lenkt heute Markus Frieß aus Rheinhausen. Der Klarinettist leitet eine private Musikschule in Herbolzheim.

Nur wenige Wochen, nachdem er im September 2007 den Platz am Dirigentenpult einnimmt, gewinnt er das Publikum mit traditioneller Winzerfest-Musik für sich.

Bei den Frühjahrskonzerten setzt er neue, anspruchsvolle Maßstäbe. Frieß stellt den Konzertabend unter ein Motto, das sich wie ein roter Faden durch das Programm zieht. Die Besucher werden so beispielsweise in ferne Länder, in die Welt des Films oder der Oper geführt.

Nach wie vor kommt das Optische dabei nicht zu kurz, untermalen Filmszenen auf der Großbildleinwand eine komplette Konzerthälfte lang die Sinfonie „Der Herr der Ringe“. Er geht noch weiter, beispielsweise darf ein waschechter Schotte –natürlich im Schottenrock- Gedichte aus seiner Heimat des 19. Jahrhunderts vortragen.

Dabei ist es gerade der Klang des Orchesters, den der musikalische Leiter mit viel zeitintensiver Probenarbeit so nachhaltig und positiv prägt.

Der Erfolg kann sich sehen lassen und beginnt schon bei den Jüngsten. Das 31-köpfige Vorstufenorchester beeindruckt unter seiner Leitung beim Jungbläserwettbewerb 2010 in Zell Zuhörer und Jury gleichermaßen. 93 von 100 Punkten sind der verdiente Lohn.

Im großen Blasorchester muss Frieß erst Überzeugungsarbeit leisten. Bislang genießen Wertungsspiele, die früher die Höhepunkte im Jahresprogramm darstellten, seit Jahren einen eher zweifelhaften Ruf unter den Aktiven. Doch seine Hartnäckigkeit zahlt sich aus. Im selben Jahr erntet das Blasorchester beim Wettbewerb in Kenzingen ausgezeichnete Kritiken. Mehrfach greifen die Juroren einstimmig zur Traumnote 10. Die 91,5 Punkte bedeuten den Ersten Platz in der Oberstufe und Silber in der Gesamtwertung aller Klassen.

Gewiss dürfte es nicht wieder fast zwei Jahrzehnte dauern, bis man sich erneut an den Wettbewerb mit anderen Orchestern und die  Bewertung durch eine Expertenkommission wagt.

Die Weichen hierfür sind ebenso wie für eine positive musikalische und personelle Zukunft des Vereines gestellt. Im Jubiläumsjahr zählt der Musikverein Ortenberg 119 aktive Musiker, 26 Kinder in der musikalischen Früherziehung und 9 Kinder in der Gruppe Musik in der Schule.

Diese 144 Musikerinnen und Musiker verbindet immer noch mit den acht Gründern aus dem Jahr 1811 der gleiche Wunsch nach dem gemeinsamen Musizieren, sind sie damals wie heute immer noch die „Ortenberger Musik“ – nur eben mittlerweile 200 Jahre jung !

Musikverein Ortenberg

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